Montag, 20. März 2017


Medizinischer Alltag … oder “nur nicht ausrasten“



Es verschlägt einem schon manchmal die Sprache wie hier Medizin betrieben wird. Und leider muss man sagen, dass es nicht selten eine fatale Mischung aus fehlendem Material, Nichtwissen und absoluter Selbstgefälligkeit ist.


So musste ich doch erleben, dass wir (also der nette Kollege, der vor 8 Jahren in Frankreich eine ordentliche Ausbildung zum Neonatologen genossen hat und ich) ein Kind 36;6 SSW mit ordentlich „wet lung“ begutachtet habe, es von uns untersucht wurde und eine Therapieempfehlung bekam. Man hatte bereits eine antibiotische Therapie begonnen da man eine angeborene Pneumonie (Lungenentzündung)  befürchtete. Ich habe es so stehen lassen, man kann da Zeug ja durchaus nach 48 Stunden absetzen. Der Jungspunt der drei Stunden später auf das Kind losgelassen wurde (ich musste an dem Nachmittag zum Büro zwecks Sitzung) hatte allerdings beschlossen daraus eine Sepsis mit Meningitis zu machen – häääääää????

Begründung: es war berührungsempfindlich und unruhig. Ja, wäre ich als Baby wohl auch wenn ich keine Luft bekomme und das blöde CPAP nur so leidlich hilft, weil die Maschine k... ist.

Also hat er mal fröhlich in den Rücken gestochen ohne Not noch ein drittes Antibiotikum eingeführt und fühlt sich auch noch voll berechtigt im Glauben alles richtig gemacht zu haben.


Und keiner weit und breit der Lust hat das Ganze zu besprechen oder zu hinterfragen. Viel wichtiger ist, dass wir festgestellt haben es handelt sich um ein VIP Baby, weil es mit irgendeiner wichtigen Person in Phnom Penh verwandt ist. Ist ja genauso schlimm wie bei uns...


Ich versuche nicht zu viel um die einzelnen Individuen zu kämpfen, sonst würde ich vielleicht immer mal wieder weinen müssen. Das klingt sehr hart, geht aber nicht anders. Die mich gut kenne, wissen wie hart es für mich ist ein Kind aufgeben zu müssen oder den Eindruck zu haben, jemand kümmert sich nicht aus welchen Gründen auch immer.

Aber eine Strukturänderung hier rein zu bringen...  -> wir werden sehen


Die jungen Ärzte sind immerhin sehr gewillt Neues zu lernen, mit Ihnen mache ich viel „Bedside Teaching“. Wir sprechen eine lustige Mischung aus Khmer, Französisch und Englisch. Wobei sie offenbar besser Englisch lesen können als es zu verstehen oder zu sprechen.

Ich habe einen Lehrplan eingereicht, werde mir aber doch einen Dolmetscher suchen, sonst ist die ganze Mühe zu 2/3 umsonst.

Ausserdem habe ich einen Dokumentationsbogen mit Hilfe von – na? wer weiss es? Ja genau, mit Hilfe von NIQ erstellt (ich sehe ungläubige Gesichter). Sehr reduziert und erstmal auf Papier – es hat zwar jeder ein modernes Handy aber es sind so gut wie keine Computer auf den Stationen. Nun arbeite ich an einem Online Formular damit wir wenigstens mal dokumentieren, was wir so täglich vollbringen. Ich war doch recht nachdenklich, als ich feststellen musste, dass im Vorzeigekrankenhaus von Beat R. immerhin 30 % der Kinder um 28-30 SSW und darunter versterben.


Heute habe ich ganz basal mit Perzentilen begonnen – lapidarer Kommentar des Oberarztes der vorübergehend die Leitung der ICU innehat: „Oh, so was hatten wir mal. Wo diese Blätter dann hin sind, weiss ich allerdings auch nicht. Wieso hast Du die denn selber kopiert, das kann das nächste Mal die Schwester machen.“- Jetzt ehrlich????

Zu meiner persönlichen Freude haben sich die jungen Ärzte jedoch sogleich daran gemacht diese für alle Babies auszufüllen – geht doch! Welch‘ Überraschung:  unsere drei 29- 30. SSW haben nicht genug zugenommen. ANDERERSEITS: schlechter als in meiner letzten Arbeitsstelle waren sie jedoch auch nicht. Und ich habe kein MCT oder Protein oder FM!!!!


Traurig stimmen mich jedoch meine neurologischen Babies. Das Zwillingsmädchen (Bruder siehe unten) musste reanimiert werden nach schwerer Apnoe am 2. Lebenstag.


Zustand als ich dazu kam – Beutel funktioniert, leider aber nicht angeschlossen, vermutlich war sie schon so tief in ihrer Sättigung über 2-3 Minuten, Herzfrequenz schrabbte auf 50-60/min. herum, hat lange gebraucht sich zu erholen, ich habe den Vorschlag CPAP anschließend auszuprobieren abgelehnt, sie war also vorher spontanatmend mit Sauerstoffbrille so 2-4 Liter, oh dear, arme Augen, ach so, ich habe ja gar keinen Augenarzt, Intubation = meine erste orale bei 30 SSW unproblematisch, wie bitte? wir schneiden den Cuff um den Tubus herum ab, damit wir Tuben ohne Cuff haben - ist jetzt nicht Euer Ernst, kommt nicht in die Tüte, dann brauche ich mich ja nicht wundern wenn die Intubierten aus dem Tubus bluten.


Ich war voller Stolz, dass wir sie drei Wochen durchgebracht haben, trotz Ventrikelblutung bds. und die Kleine sich richtig berappelt hat und sogar gut extubiert werden konnte (Ihr Papa musste auch nur schlappe 48 Stunden beuteln, dann kam sie an die Maschine). Nur jetzt habe ich einen fiesen Hydrocephalus vor mir und keine Hilfe weit und breit. Mein Vorschlag, dann müssen wir eben „old school“ lumbalpunktieren, wurde aus Angst vor Infektion nur ein einziges Mal durchgeführt, jetzt warten wir und warten und warten – auf was, keine Ahnung.... Es gibt wohl ein Krankenhaus, dass auch VP-Shunts legt. Aber welches Krankenhaus genau und wieviel Kilogram. Keine Ahnung, warum sollten wir da nachfragen? Lieber stehen wir ein wenig ratlos herum. Ich könnte .... siehe ganz oben....

Die Eltern natürlich bitter arm, schauen mich weiterhin dankbar an – wofür? Ich fühle mich hilflos und traurig.
Prof. Ludwig wo bist Du????


Das Outcome weiterer Wochen im „Land der/s Wunder/ns“:
  • 4 Monate schwere Lobärpneumonie hat unsere Behandlung nebst Beatmung über 2 Wochen überlebt und ist heim gegangen
  • Frühgeburt der 32 SSW mit Ikterus und Trinkschwäche – gesund, heimgegangen
  • 4 Wochen alt, schwere Hemisphärische Blutung und IVH auf der anderen Seite, ganz sicher kein Trauma oder Misshandlung, Ursache unklar (Vitamin K Mangelblutungen kommen aber offenbar oft vor) – nicht mehr komatös, atmet eigenständig, trinkt mässig, schwere Behinderung zu erwarten, ist aber um Hydrocephalus herum gekommen
  • Inzwischen 6 Wochen alt nach schwerer Asphyxie und Z.n. Aspirationspneumonie – hat überlebt, weiterhin kaum wach, trinkt im Halbdämmerzustand, braucht noch etwas Sauerstoff, bereits jetzt erkennbar ausgeprägte Behinderung
  • Kleines Zwillingsmädchen wie oben beschrieben – über den Ausgang kann ich nur spekulieren
  • Ihr Bruder hält sich toll, hatte aber auch schon drei Beatmungspflichtige Apnoen durch, PVL zumindest zu befürchten
  • 28-29. SSW Mädchen, 14 Tage beatmet, schlapp im Tonus, bisherige Entwicklung in 3 Wochen eher unbefriedigend, aber immerhin atmet sie allein, braucht noch eine Spur Sauerstoff, nur das Trinken klappt so mäßig, es kommt aber so langsam – ja ich weiß, bei uns trinken alle erst SPÄTER – hier aber nicht
  • Unklares Syndrom, komische Ohren, Echo okay, plötzliche Atempause in der Nacht – da wir wohl doch nicht so toll reanimieren können, gestorben an respiratorischem Versagen, falls es stimmt
Warum ich es  „Land des Wunderns“ nenne? Das habe ich von einer Kambodschanischen ärztlichen Kollegin erfahren. Ihre Ausage: „Unser Land heisst so und wird so genannt, weil wir uns immer über alles wundern, als sei es das erste Mal.“ – schmunzel – könnte Stimmen und passt gut in meinen Alltag, was mein Ihr?

Mein Alltag:


Und so sieht es aus, wenn wir wie immer offen absaugen, das machen hier die Ärzte




Und so sieht es aus wenn wir die Druckluftflasche wechseln. Hier hilft ein
engagierter Vater dem jungen Arzt.




Manchmal muss der Consultant dann aber doch auch mal was selber machen.



Mein Schreibtisch, nein nicht der Linke! Okay, ich hätte das
T-Shirt mal ordentlicher da hin hängen können, wollte aber
gerade gehen und zog mich um. Und zum Glück sieht man ja
die riesige Kakerlake nicht, sowie die Fliegen und die
Moskitos (ich hatte vergessen zu erwähnen, dass
diese Freunde natürlich nicht nur in diesem Raum sind....)




Soweit zur Qualität des Sonogeräts, man kann es
sonst gut für Oberbauch Sonographie nutzen. Und
den Hydrocephalus brauche ich wohl nicht
näher erläutern.




Meine Babies haben sich entschlossen in
Ermangelung von Nestchen oder funktionierenden
Inkubatoren eine Free-Style Embryo Haltung zu bevorzugen.















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