Medizin
Wie kann man helfen, wenn ….?
Nicht selten bin ich verzweifelt. Wenn Dir jede Woche mind. 2 Kinder unter den
Händen wegsterben, wie kann man da ein „nachhaltiges Gefühl“ von effektiver
Hilfe entwickeln. Wenn man eine Beatmung steuern soll ohne die Möglichkeit
einer Blutgasanalyse. Wenn du den zwei überhaupt existierenden Beatmungsgeräten
trauen sollst, wobei die Hälfte daran nicht mehr funktioniert und Du allen Ernstes
erwägst, dass das dauernde Handbeuteln der Eltern vielleicht besser ist. Wenn
Du kreislaufunterstützende Maßnahmen geben willst und hast keine zentralen
Katheter. Wenn dadurch entstehende Nekrosen es Dir Wert sind, damit das Kind
wenigstens überlebt. Wenn Du einem 1000 g Kind mind. 3 ml Blut abnehmen musst,
nur um ein verdammtes Hämogramm zu bekommen und genau weißt, dass Du
Bluttransfusion für diese Woche abschreiben kannst, da keine Spenden da sind
und es eh mind. 6 Stunden dauert bis das Blut da ist. Wenn das 3 jährige Kind
ins Koma fällt mit Zeichen eines schweren Hirnprozesses, du aber nicht
hineinschauen kannst in den Kopf. Wenn Du keine i.v. Zugänge hast, die auch in
1000 g passen. Wenn Du Phenobarbital nur als Tablette auflösen kannst und
hoffst es hilft vielleicht irgendwann nach 1 Stunde auch oral per Magensonde…
Provinzbesuch
Aufgrund eines Prozesses namens Qualitätsverbesserung
fand in einer durch das Mutter-Kind-Gesundheitsprojekt betreuten Provinz eine
Art Audit statt. Da man hier in so ziemlich alle Abläufe und Prozesse schaut,
fand mein Büro es passend dass ich mal mitfahre und aus Sicht des Neonatologen
auf die NCU (= Neonatal Care Units) schaue, bzw. die Erstversorgung von Früh-
und Neugeborenen. Ich hatte vermutlich schon beim letzten Mal zusammenfassend
an Euch geschrieben: „Es ist überraschend, dass in Kambodscha doch so viele
Kinder überleben“. Denn unter den gesehenen Bedingungen ist hier so gut wie
niemand so weit, es mit Komplikationen beim Kind unter und nach der Geburt
aufzunehmen. Um fair zu bleiben: positiv muss bemerkt werden, dass durch die massiven
Anstrengungen in den vermutlich letzten 10 Jahren die mütterliche Versorgung
unter der Geburt deutlich verbessert wurde. Sie ist sicher noch nicht optimal,
aber eine „awareness“ ist da. Und das bedeutet meist, dass Komplikationen
rascher bemerkt werden und auch Anstrengungen zur Prävention unternommen
werden.
Aber bezüglich der Neugeborenen war mein Fazit doch
ausgesprochen düster. Neben erheblichen Hygieneproblemen, bei denen man sich
nicht wundert dass man im Krankenhaus so viele Nabelinfektionen und leider eben
auch immer noch Tetanus vorfindet (trotz deutlich verbesserter Impfrate bei
Schwangeren), muss man leider sagen, dass nur die Wenigsten wissen was sie mit
einem Neugeborenen in Not anfangen sollen, bzw. wie sie wirklich verhindern
können, dass es überhaupt in Not gerät. Und wer als Frühgeborenes ein echtes Atemnotsyndrom
hat, schafft es vermutlich nicht oder nur mit erheblichem Schaden bis zum
nächsten großen Krankenhaus mit 3-4 Stunden Fahrzeit im Tuk-Tuk oder auf dem Moped.
Wieder zurück in Phnom Penh wurde mir noch bewusster was
es bedeutet ein System aufzubauen das Kriterien schafft für die rechtzeitige Verlegung
der kleinen Patienten. Und das für Verlegungswege in einem Land mit schlechter Infrastruktur
und dazu gehörigen mittelosen Patienten/-Eltern. Momentan arbeitet ein Projekt
bereits an dem Thema Neugeborenen Erstversorgung und Reanimation. Aber bis alle
Beteiligten dies wirklich beherrschen, sich sicher fühlen in ihren Handlungen und
auch entsprechend umsetzen, kann man nur hoffen, dass es nicht weitere 10 Jahre
dauert. Anderseits muss man bedenken, es handelt sich um mehrere hundert Health
Centre im Land in denen täglich geboren wird, sowie um Provinz und Distrikt
Krankenhäuser in denen Basisversorgung stattfindet. All dies braucht einen
langen Atem. Anbei ein paar Hygiene Impressionen von der Reise-
Irgendwie muss man den Einblick in den Entbindungsraum ja unterbinden, dann schwärzt man halt das Fenster. Gut, es gäbe sicher noch mehr zu kommentieren |
Wenn man sich schön die Hände gewaschen hat, nimmt man ein Handtuch.
Nein, nicht das für den Boden...
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Gebären? Angeblich nach der Reinigung... |
Ob man damit wirklich "antiseptische" Hände bekommt? |
„Ministry of Health“
Viele der Veränderungen müssen natürlich auch von „oben“
gewollt sein und entsprechend gefördert werden. Da es eines der Millennium Ziele
Kambodschas ist, die Neugeborenen Versorgungen, bzw. Überlebensrate drastisch zu
verbessen, wird auch versucht auf diesem Weg voran zu kommen. Zu meiner
Überraschung hatte mein Büro sich gewünscht, ich möge auch an der Sitzung der „Neugeborenen Gesundheit
Gruppe“ teilnehmen. Mein Krankenhaus hatte dies befürwortet und erhofft sich
auf diesem Weg vielleicht auch ein wenig eine Art „Vorreiterrolle“ einnehmen zu
können. Es trafen sich also die drei großen Häuser aus Phnom Penh, die sich der
Kindergesundheit verschrieben haben, sowie ein Vertreter der WHO und noch zwei
weiterer Geberorganisationen neben der deutschen Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit. Der Leiter der Gruppe ist ein ehemaliger
Direktor meines Krankenhauses und hoch erfreut, dass jemand dort freiwillig
helfen will (so langsam verstehe ich auch, warum mich immer alle so mitfühlend anschauen
wenn es um das Krankenhaus geht – hahaha).
Die ICD-10 Kodierungen verfolgen mich bis nach
Kambodscha, denn es wird nach einer einheitlichen Kodierung gesucht. Natürlich
habe ich umgehend eine Liste erstellt –seufz. Das nächste große Thema wird
jedoch die Dokumentation, sowie ein nationales Sterberegister sein. Nach
verschiedenen Gesprächen und Überlegungen im „kleinen Team“ dürfte es
vermutlich einfacher sein, wir installieren eine funktionierende Dokumentation zunächst
in unserem Krankenhaus und erweitern dann. Nicht, dass das etwa einfach wäre.
Dokumentation ist ein ausgesprochen „schwer zu biegendes Eisen“ hier. Ich habe
so im Stillen die Vermutung, dass man nur ungern schwarz auf weiß sehen möchte, dass Kinder bei uns bevorzugt nachts,
an Wochenende oder Feiertagen sterben und auch iatrogene Ursachen in Frage
kommen. Nun ja, trotz erheblichen Arbeitsaufwands, der nun auf meinem
Schreibtisch liegt, denke ich dass es sich bei der Arbeitsgruppe um ein
ausgesprochen wichtiges Arbeitsfeld handelt, bei dem es einfach nochmal andere
Ansatzpunkte und Hebel gibt als bei der „Hands-on“ Arbeit am Bett.
"Alltagssorgen" und es atmet wirklich noch spontan |
Auch in Kambodscha gibt es die mütterliche Unart
das Kind mit der Flasche allein zu lassen
|
Wirtschaftsförderung
Ein weiteres erfreuliches Thema ist die Tatsache, dass
das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit durchaus Interesse
hat Wirtschaftszusammenarbeit mit Kambodscha zu fördern (und das nicht etwas
nur mit den großen Marktführern), so dass wir die Möglichkeit haben z.B. eine
Firma vorzuschlagen. Ein sehr wichtiges Problem ist in der Tat, dass man kaum
Zugang zu Materialen hat, das fängt bei i.v.-Nadeln an und hört bei Sauerstoffsensoren
auf. Die großen asiatischen Produzenten sind China und Indien, entsprechend
problematisch ist bei manchen Materialen die Frage nach der Qualität. Die
Einfuhrbedingungen sind eine weitere Hürde. Und ausländische Produkte z.B. aus
Europa und Amerika bekommt man häufig nur über einen Zwischenhändler in
Thailand, Singapur oder Taiwan.
Dies ist natürlich nichts, wovon meine Arbeit aktuell
profitieren würde. Aber es ist langfristig gesehen sicher eine gute Investition
für beide Seiten.
Überraschende Entdeckung beim Besuch eines Provinzkrankenhauses |
HILFE erbeten
1. Liebe Freunde, ich habe bisher darauf verzichtet um Hilfe
zu bitten, da ich hier ja nicht auf einem humanitären Einsatz bin. Aber mein
täglicher Kampf ohne Basismaterial zermürbt mich ein wenig.
Ich werde voraussichtlich im Oktober 2017 auf
Heimaturlaub sein und will versuchen bis dahin verschiedene Materialen in
kleinen Mengen zu sammeln. Das fängt bei kleinen Venenverweilkathetern mit 26G
an und hört bei Intratrachealtuben OHNE Block auf. Aktuell versuche ich oft ohne Erfolg von
Firmen Preise einzuholen, damit ich besser kalkulieren kann was mich der
Privateinkauf kosten wird. Meine Bitte an Euch: ich bin für jede
Information, Preisvergleich, Idee, Erfahrung dankbar! Ich frage nicht nach
Eurem Geld, ich frage nicht nach Hilfspaketen. Lediglich bei der Logistik
wünsche ich mir Unterstützung. Es hat mich allein 20 Emails (mit EINER Firma)
gekostet bis ich endlich die Laryngoskope hatte, die ich brauche. Diese Zeit
habe ich nicht! Schließlich will ich das, was ich an Babys retten kann, auch
retten indem ich anwesend bin.
Die Firmen fühlen sich nicht gemüßigt zu antworten, wenn
es um kleine Stückzahlen geht. Jede „verdammte“ Firma verkauft etwas anderes. Und
ich habe nicht vor alle Firmen beim BMZ zu erwähnen.
Wer also weiß wie er/sie über den Einkauf oder andere
persönliche Quellen an Produkte kommt, kann sich bitte bei mir melden. Es wäre
eine RIESENHILFE!
2. Das zweite Hilfs-Thema
betrifft eine Kinderkrankenschule oder einen Kinderkrankenschwestern
Fachverband (Neo- und Intensivpflege für Kinder). Wer weiß, dass die ihm/ihr bekannte Schule sehr aktiv ist und Lust auf
Austausch mit dem Ausland hat, möge sich bitte dringen und zeitnah melden. Es
geht um eine mögliche Förderung einer Kooperation zugunsten des National
Pediatric Hospitals. Evtl. haben wir die Möglichkeit eine Zeit von 1-2 Jahre für Schulung zu
finanzieren, bei der z.B. Kinderintensivpfleger/-innen bezahlt hier nach Kambodscha kommen
und am Bett lehren. Das wäre eine tolle Sache und würde meinen hiesigen
Schwestern sehr helfen. Aus meiner Sicht bringt es nämlich herzlich wenig
allein die Ärzte zu schulen. Ich binde die Schwestern schon in allem ein, wo
ich nur kann. Aber meine Ausbildung ist nun mal nicht die einer
Kinderkrankenschwester, abgesehen davon dass es vermessen wäre das exzellente
Können was ich von vielen Deutschen und Schweizer Schwestern erleben durfte nur annähern
ersetzen zu wollen.
3. Das dritte Hilfsthema betrifft dieses Baby. Es hat einen
komplizierten Herzfehler (vermutlich Fallot mit Pulmonalatresie) und einen
Augentumor (unklar – vielleicht Staphylom?), das andere Auge wurde vermutlich
nicht richtig ausgebildet. Es ist wachstumsretardiert und dürfte sich nicht
allein wegen der Erkrankung auch bei optimaler medizinischer Versorgung nicht
normal entwickeln. Nun stirbt man ja nicht so ohne Weiteres an einem
Herzfehler, vor allem wenn man einen riesen VSD hat.
Aber was mich bei aller Akzeptanz, dass ich hier in einem
Entwicklungsland bin und Kinder nun mal sterben, nicht gut aushalten kann ist:
Es hat keine Eltern und liegt allein und verlassen bei uns. Sie hat nicht mal
einen Namen, niemand war da um ihr eine Babyplastik Flasche zu kaufen damit sie
gefüttert werden kann. Niemand tröstet sie, wenn sie weint. Ihre Mutter lag
blutend auf der Liege, als das Kind zu uns gebracht wurde, und ich nehme an,
dass es für die sichtlich arme Familie ein Schock war ein solch entstelltes
Kind zu sehen. Sie haben vermutlich beschlossen, dass es keine Chance hat. Und
wenn ich die Bedingungen betrachte und die komplizierte Erkrankung des Kindes dann
muss ich ihnen wohl zustimmen. Aber muss man als kleines Menschlein deshalb so
sehr leiden? Ich bin sehr sehr traurig für dieses kleine Mädchen!
Sie starb am 13.05.2017 auf unserer Station...
Oh Mann, da fehlen mir die Worte.
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