Sonntag, 14. Mai 2017


Medizin

Wie kann man helfen, wenn ….?
Nicht selten bin ich verzweifelt. Wenn Dir jede Woche mind. 2 Kinder unter den Händen wegsterben, wie kann man da ein „nachhaltiges Gefühl“ von effektiver Hilfe entwickeln. Wenn man eine Beatmung steuern soll ohne die Möglichkeit einer Blutgasanalyse. Wenn du den zwei überhaupt existierenden Beatmungsgeräten trauen sollst, wobei die Hälfte daran nicht mehr funktioniert und Du allen Ernstes erwägst, dass das dauernde Handbeuteln der Eltern vielleicht besser ist. Wenn Du kreislaufunterstützende Maßnahmen geben willst und hast keine zentralen Katheter. Wenn dadurch entstehende Nekrosen es Dir Wert sind, damit das Kind wenigstens überlebt. Wenn Du einem 1000 g Kind mind. 3 ml Blut abnehmen musst, nur um ein verdammtes Hämogramm zu bekommen und genau weißt, dass Du Bluttransfusion für diese Woche abschreiben kannst, da keine Spenden da sind und es eh mind. 6 Stunden dauert bis das Blut da ist. Wenn das 3 jährige Kind ins Koma fällt mit Zeichen eines schweren Hirnprozesses, du aber nicht hineinschauen kannst in den Kopf. Wenn Du keine i.v. Zugänge hast, die auch in 1000 g passen. Wenn Du Phenobarbital nur als Tablette auflösen kannst und hoffst es hilft vielleicht irgendwann nach 1 Stunde auch oral per Magensonde…

Provinzbesuch
Aufgrund eines Prozesses namens Qualitätsverbesserung fand in einer durch das Mutter-Kind-Gesundheitsprojekt betreuten Provinz eine Art Audit statt. Da man hier in so ziemlich alle Abläufe und Prozesse schaut, fand mein Büro es passend dass ich mal mitfahre und aus Sicht des Neonatologen auf die NCU (= Neonatal Care Units) schaue, bzw. die Erstversorgung von Früh- und Neugeborenen. Ich hatte vermutlich schon beim letzten Mal zusammenfassend an Euch geschrieben: „Es ist überraschend, dass in Kambodscha doch so viele Kinder überleben“. Denn unter den gesehenen Bedingungen ist hier so gut wie niemand so weit, es mit Komplikationen beim Kind unter und nach der Geburt aufzunehmen. Um fair zu bleiben: positiv muss bemerkt werden, dass durch die massiven Anstrengungen in den vermutlich letzten 10 Jahren die mütterliche Versorgung unter der Geburt deutlich verbessert wurde. Sie ist sicher noch nicht optimal, aber eine „awareness“ ist da. Und das bedeutet meist, dass Komplikationen rascher bemerkt werden und auch Anstrengungen zur Prävention unternommen werden.

Aber bezüglich der Neugeborenen war mein Fazit doch ausgesprochen düster. Neben erheblichen Hygieneproblemen, bei denen man sich nicht wundert dass man im Krankenhaus so viele Nabelinfektionen und leider eben auch immer noch Tetanus vorfindet (trotz deutlich verbesserter Impfrate bei Schwangeren), muss man leider sagen, dass nur die Wenigsten wissen was sie mit einem Neugeborenen in Not anfangen sollen, bzw. wie sie wirklich verhindern können, dass es überhaupt in Not gerät. Und wer als Frühgeborenes ein echtes Atemnotsyndrom hat, schafft es vermutlich nicht oder nur mit erheblichem Schaden bis zum nächsten großen Krankenhaus mit 3-4 Stunden Fahrzeit im Tuk-Tuk oder auf dem Moped.

Wieder zurück in Phnom Penh wurde mir noch bewusster was es bedeutet ein System aufzubauen das Kriterien schafft für die rechtzeitige Verlegung der kleinen Patienten. Und das für Verlegungswege in einem Land mit schlechter Infrastruktur und dazu gehörigen mittelosen Patienten/-Eltern. Momentan arbeitet ein Projekt bereits an dem Thema Neugeborenen Erstversorgung und Reanimation. Aber bis alle Beteiligten dies wirklich beherrschen, sich sicher fühlen in ihren Handlungen und auch entsprechend umsetzen, kann man nur hoffen, dass es nicht weitere 10 Jahre dauert. Anderseits muss man bedenken, es handelt sich um mehrere hundert Health Centre im Land in denen täglich geboren wird, sowie um Provinz und Distrikt Krankenhäuser in denen Basisversorgung stattfindet. All dies braucht einen langen Atem. Anbei ein paar Hygiene Impressionen von der Reise-

Irgendwie muss man den Einblick in den Entbindungsraum ja unterbinden, dann schwärzt man halt das Fenster. Gut, es gäbe sicher noch mehr zu kommentieren
Wenn man sich schön die Hände gewaschen hat, nimmt man ein Handtuch.
Nein, nicht das für den Boden...
Gebären? Angeblich nach der Reinigung...
Ob man damit wirklich "antiseptische" Hände bekommt?


„Ministry of Health“

Viele der Veränderungen müssen natürlich auch von „oben“ gewollt sein und entsprechend gefördert werden. Da es eines der Millennium Ziele Kambodschas ist, die Neugeborenen Versorgungen, bzw. Überlebensrate drastisch zu verbessen, wird auch versucht auf diesem Weg voran zu kommen. Zu meiner Überraschung hatte mein Büro sich gewünscht, ich möge auch an der Sitzung der „Neugeborenen Gesundheit Gruppe“ teilnehmen. Mein Krankenhaus hatte dies befürwortet und erhofft sich auf diesem Weg vielleicht auch ein wenig eine Art „Vorreiterrolle“ einnehmen zu können. Es trafen sich also die drei großen Häuser aus Phnom Penh, die sich der Kindergesundheit verschrieben haben, sowie ein Vertreter der WHO und noch zwei weiterer Geberorganisationen neben der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Der Leiter der Gruppe ist ein ehemaliger Direktor meines Krankenhauses und hoch erfreut, dass jemand dort freiwillig helfen will (so langsam verstehe ich auch, warum mich immer alle so mitfühlend anschauen wenn es um das Krankenhaus geht – hahaha).

Die ICD-10 Kodierungen verfolgen mich bis nach Kambodscha, denn es wird nach einer einheitlichen Kodierung gesucht. Natürlich habe ich umgehend eine Liste erstellt –seufz. Das nächste große Thema wird jedoch die Dokumentation, sowie ein nationales Sterberegister sein. Nach verschiedenen Gesprächen und Überlegungen im „kleinen Team“ dürfte es vermutlich einfacher sein, wir installieren eine funktionierende Dokumentation zunächst in unserem Krankenhaus und erweitern dann. Nicht, dass das etwa einfach wäre. Dokumentation ist ein ausgesprochen „schwer zu biegendes Eisen“ hier. Ich habe so im Stillen die Vermutung, dass man nur ungern schwarz auf weiß sehen möchte, dass Kinder bei uns bevorzugt nachts, an Wochenende oder Feiertagen sterben und auch iatrogene Ursachen in Frage kommen. Nun ja, trotz erheblichen Arbeitsaufwands, der nun auf meinem Schreibtisch liegt, denke ich dass es sich bei der Arbeitsgruppe um ein ausgesprochen wichtiges Arbeitsfeld handelt, bei dem es einfach nochmal andere Ansatzpunkte und Hebel gibt als bei der „Hands-on“ Arbeit am Bett.

"Alltagssorgen" und es atmet wirklich noch spontan
Auch in Kambodscha gibt es die mütterliche Unart
das Kind mit der Flasche allein zu lassen

Wirtschaftsförderung

Ein weiteres erfreuliches Thema ist die Tatsache, dass das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit durchaus Interesse hat Wirtschaftszusammenarbeit mit Kambodscha zu fördern (und das nicht etwas nur mit den großen Marktführern), so dass wir die Möglichkeit haben z.B. eine Firma vorzuschlagen. Ein sehr wichtiges Problem ist in der Tat, dass man kaum Zugang zu Materialen hat, das fängt bei i.v.-Nadeln an und hört bei Sauerstoffsensoren auf. Die großen asiatischen Produzenten sind China und Indien, entsprechend problematisch ist bei manchen Materialen die Frage nach der Qualität. Die Einfuhrbedingungen sind eine weitere Hürde. Und ausländische Produkte z.B. aus Europa und Amerika bekommt man häufig nur über einen Zwischenhändler in Thailand, Singapur oder Taiwan.

Dies ist natürlich nichts, wovon meine Arbeit aktuell profitieren würde. Aber es ist langfristig gesehen sicher eine gute Investition für beide Seiten.

Überraschende Entdeckung beim Besuch eines Provinzkrankenhauses

HILFE erbeten


1. Liebe Freunde, ich habe bisher darauf verzichtet um Hilfe zu bitten, da ich hier ja nicht auf einem humanitären Einsatz bin. Aber mein täglicher Kampf ohne Basismaterial zermürbt mich ein wenig.

Ich werde voraussichtlich im Oktober 2017 auf Heimaturlaub sein und will versuchen bis dahin verschiedene Materialen in kleinen Mengen zu sammeln. Das fängt bei kleinen Venenverweilkathetern mit 26G an und hört bei Intratrachealtuben OHNE Block auf.  Aktuell versuche ich oft ohne Erfolg von Firmen Preise einzuholen, damit ich besser kalkulieren kann was mich der Privateinkauf kosten wird. Meine Bitte an Euch: ich bin für jede Information, Preisvergleich, Idee, Erfahrung dankbar! Ich frage nicht nach Eurem Geld, ich frage nicht nach Hilfspaketen. Lediglich bei der Logistik wünsche ich mir Unterstützung. Es hat mich allein 20 Emails (mit EINER Firma) gekostet bis ich endlich die Laryngoskope hatte, die ich brauche. Diese Zeit habe ich nicht! Schließlich will ich das, was ich an Babys retten kann, auch retten indem ich anwesend bin.

Die Firmen fühlen sich nicht gemüßigt zu antworten, wenn es um kleine Stückzahlen geht. Jede „verdammte“ Firma verkauft etwas anderes. Und ich habe nicht vor alle Firmen beim BMZ zu erwähnen.

Wer also weiß wie er/sie über den Einkauf oder andere persönliche Quellen an Produkte kommt, kann sich bitte bei mir melden. Es wäre eine RIESENHILFE!



2. Das zweite Hilfs-Thema betrifft eine Kinderkrankenschule oder einen Kinderkrankenschwestern Fachverband (Neo- und Intensivpflege für Kinder). Wer weiß, dass die ihm/ihr bekannte Schule sehr aktiv ist und Lust auf Austausch mit dem Ausland hat, möge sich bitte dringen und zeitnah melden. Es geht um eine mögliche Förderung einer Kooperation zugunsten des National Pediatric Hospitals. Evtl. haben wir die Möglichkeit eine Zeit von 1-2 Jahre für Schulung zu finanzieren, bei der z.B. Kinderintensivpfleger/-innen bezahlt hier nach Kambodscha  kommen und am Bett lehren. Das wäre eine tolle Sache und würde meinen hiesigen Schwestern sehr helfen. Aus meiner Sicht bringt es nämlich herzlich wenig allein die Ärzte zu schulen. Ich binde die Schwestern schon in allem ein, wo ich nur kann. Aber meine Ausbildung ist nun mal nicht die einer Kinderkrankenschwester, abgesehen davon dass es vermessen wäre das exzellente Können was ich von vielen Deutschen und Schweizer Schwestern erleben durfte nur annähern ersetzen zu wollen.



3. Das dritte Hilfsthema betrifft dieses Baby. Es hat einen komplizierten Herzfehler (vermutlich Fallot mit Pulmonalatresie) und einen Augentumor (unklar – vielleicht Staphylom?), das andere Auge wurde vermutlich nicht richtig ausgebildet. Es ist wachstumsretardiert und dürfte sich nicht allein wegen der Erkrankung auch bei optimaler medizinischer Versorgung nicht normal entwickeln. Nun stirbt man ja nicht so ohne Weiteres an einem Herzfehler, vor allem wenn man einen riesen VSD hat.

Aber was mich bei aller Akzeptanz, dass ich hier in einem Entwicklungsland bin und Kinder nun mal sterben, nicht gut aushalten kann ist: Es hat keine Eltern und liegt allein und verlassen bei uns. Sie hat nicht mal einen Namen, niemand war da um ihr eine Babyplastik Flasche zu kaufen damit sie gefüttert werden kann. Niemand tröstet sie, wenn sie weint. Ihre Mutter lag blutend auf der Liege, als das Kind zu uns gebracht wurde, und ich nehme an, dass es für die sichtlich arme Familie ein Schock war ein solch entstelltes Kind zu sehen. Sie haben vermutlich beschlossen, dass es keine Chance hat. Und wenn ich die Bedingungen betrachte und die komplizierte Erkrankung des Kindes dann muss ich ihnen wohl zustimmen. Aber muss man als kleines Menschlein deshalb so sehr leiden? Ich bin sehr sehr traurig für dieses kleine Mädchen!



 
Es kann nicht fair sein...

Sie starb am 13.05.2017 auf unserer Station...








1 Kommentar: