Medizin und was wir weiter tun
Wer hätte gedacht, dass ich nach 8 Wochen an dieser
Stelle schreiben würde: es tut sich etwas…
Gut, mein Alltag ist zäh, das muss ich zugeben. Ich wache zwischendurch wie ein Adler über seinen Horst damit niemand komische Medizin mit den Kleinen betreibt. Inzwischen kann ich fast besser ertragen, wenn wir uns medizinisch ganz langsam bewegen, als wenn wir Medizin anwenden von der wir keine Ahnung haben.
So hatte sich das vor Wochen beschriebene Baby mit der „wet
lung“ wie zu erwarten rasch erholt. Ich bin nicht umsonst direkt am Samstag
nach den verrückten Maßnahmen des Kollegen nach dem Kind schauen gegangen. Da
lächelte es ganz fröhlich vor sich hin und hatte auch ohne suffizienten CPAP
wieder Luft zum Atmen. Mein Versuch dem Kollegen die möglichen
Differentialdiagnosen in einem Vieraugengespräch (damit er sein Gesicht nicht
verliert) auseinander zu setzen, hat nicht sonderlich gefruchtet. Denn leider ist
er von seiner Meinung sehr überzeugt und die Feinheiten zwischen „Respiratory
distress“, „wet lung“ oder kongenitale Pneumonien sind hier nicht geläufig. Hier
hat jedes Baby was nicht vernünftig atmet ein „hyaline Membran Syndrom“ als französischen
„terminus technicus“. Es wird vermutlich ein langer Weg mit uns …
Der lustige und unerwartete Nebeneffekt: die Familie in
Form von Oma und Vater des Kindes beschlossen, sie möchten mich ab sofort als
ihre persönliche Kinderärztin. Bei einem der üblichen Nachsorgetermine nach
Entlassung haben wir uns dann diplomatisch darauf geeinigt, dass ich gern zur
Ambulanz komme wenn Ihr Baby dort vorgestellt wird. DENN: es handelt sich um eine wichtige und einflussreiche
Verwandtschaft, ein „Nein“ wäre aus politischen Gründen nicht in Frage
gekommen.
Politik
Jetzt fragt Ihr Euch sicher, was denn nun die Politik mit
dieser Sache zu tun hat. Hier in Kambodscha: ALLES!
Jeder oder zumindest die Personen an wichtigen Schlüsselpositionen wissen über die Anderen alles. So bleiben meine Gedanken, Taten und Aussagen niemals in vier Wänden. Selbst wann ich wo bin, ist vermutlich kein Geheimnis. Jetzt könnte man sagen, das klingt ja nach Überwachungsstaat. Und in der Tat lässt sich das System nicht wirklich durchschauen. Hier spielt man nach den eigenen Regeln. Zum Glück bin ich ja nur ein ganz kleines Licht und habe als Ausländerin gewisse Freiheiten und sicher hakt man manche meiner Wunderlichkeiten als „nun ja, ist halt ein Ausländer“ ab. Dennoch bewegt man sich hier auf ganz glattem Parkett. Auch wer hier mit wem ein „Buddy“ ist, ist von enormer Relevanz. So kommt es vermutlich nicht von ungefähr, dass der Direktor einen ehemaligen Studienkollegen auf dem Posten des Vizedirektors (davon gibt es derer 5) gesetzt hat. Der Zweite im Bunde hat ganz sicher eine wichtige militärische Karriere hinter sich. Und ein Ehemaliger arbeitet ganz überraschend im Gesundheitsministerium. Himmel bin ich froh, dass ich auf so flacher Ebene operieren kann und darf. Das dauert vermutlich Jahrzehnte, bis man das Geflecht durchschaut. So hatten wir neulich die wichtige Jahreskonferenz zum Thema Erfolge und Errungenschaften im Jahr 2016 und Zukunftspläne für 2017. Warum diese Zukunft allerdings erst Ende März 2017 besprochen wird, ist mir schleierhaft. Hierbei lernte ich aber zwei wesentliche Dinge kennen. 1. den Aufstand, der geprobt wird, wenn zwei wichtige Minister zur Eröffnung der Konferenz kommen und 2. das mind. 5 Minister des Gesundheitsministeriums Professoren für Gynäkologie sind, zufällig waren mind. zwei von ihnen Studienkollegen. Noch Fragen?
Woher ich das nun schon wieder weiß? Der Direktor hatte
beschlossen es wäre doch super, wenn ich der einen Ministerin ein wenig die
Zeit vertreibe nach der Konferenz, bevor wir alle zur Klinikparty gehen. So
erzählte sie weitgehend emotionslos über Ihr Studium nach den Khmer Rouge, Ihr
Auslandsjahr in Frankreich und die Tatsache, dass sie eine der ersten Professorinnen
des Landes wäre. Wir konnten uns allerdings darauf einigen, dass es heute kaum
mehr sind, denn Frauen haben hier ganz sicher nur ganz selten bis gar keine Schlüsselposition.
Ganz zufällig hat sie einen nicht unerheblichen Eigner Anteil an einem der wichtigsten
Geburtskliniken in Phnom Penh. Die geben richtig Gas, mit einer fast europäisch
anmutenden Neonatologie und werden von Frankreich gesponsert. Dann gibt es ja
noch die Schweizer Fraktion, die ebenfalls eine Krankenhaus Dependenz hier in
Phnom Penh hat. Diese Krankenhäuser sind vor zwei Jahren in die Verantwortung
des Gesundheitsministeriums gefallen. Wie diese wiederum die Qualität aufrechterhalten
wollen, bleibt ein Rätsel. Es leuchtet nur nicht so richtig ein warum das Nationale
Krankenhaus alles allein aufbauen soll, die Ärzte einen staatlich verordneten Minium
Lohn erhalten und damit nur den Vormittag vor Ort verbringen, damit sie am
Nachmittag richtiges Geld verdienen. Verständlich wenn Motivation und Stolz sich
hier in Grenzen halten. Schön, dass wir mit den Koreanern nun auch unseren
eigenen Sponsor haben. Nur dass es sich hierbei um ein großes
Medizinunternehmen handelt, welches vermutlich kaum durch humanitäre Gründe angetrieben
das Nationale Kinderkrankenhaus auf- und ausbauen will. Ihr seht, die Zusammenhänge
sind besser als jedes online Strategiespiel.
Tagesgeschehen
Ich kann voller Glück berichten, dass wir zwei 29. SSW
glücklich entlassen konnten. Und wir haben sie sogar ohne FM, MCT, Coffein (wir
haben hier nur Aminophyllin), kleinere Viggos als „gelb“, Silastic, Tubus ohne
Block, beide ohne Inkubator, da wir nur einen funktionierenden haben, ein Kind
handgebeutelt über 24 Stunden (durch die Oma, die jedes Mal ganz blass wurde,
wenn die Sättigung nur einen Hauch runter ging), und eines sogar nur einen Zyklus
antibiotische Therapie über 7 Tage, beide mind. zwei fiese Apnoe Ereignisse mit
Beuteln müssen, aber ohne Herzdruckmassage, Temperaturschwankungen bis 35,0°C
runter und das nicht nur einmal, groß bekommen.
Ach, war ich glücklich als die „Hasen“ nach Hause konnten
und das sogar pünktlich zum Khmer New Year!!!! Bin gespannt, wie sie sich entwickeln werden.
Natürlich habe ich regelmäßige Ultraschalluntersuchungen vom Köpfchen gemacht,
mit dem überdimensionalen Bauch-Schallkopf eine wahre Kunst… Aber soweit erkennbar
sah es einigermaßen vernünftig aus. Das Schöne ist, da wir kein SPZ haben oder
gar einen Kinderarzt der Entwicklungsuntersuchungen machen kann oder anbietet,
machen wir unsere eigenen „Follow-ups“. Ist zwar eine unbedeutende Mehrarbeit –
hahaha, aber es baut auch ein wenig auf in diesen harten Tagen. Wenn man
belohnt wird dadurch, dass man weitgehend gesunde Babys betrachten darf und die
Eltern einen glücklich anstrahlen, dann ist das schon etwas ganz Besonderes! Unten
findet ihr eine kleine Auswahl entlassener Schätzchen.
Zu den Bildern komme ich weil meine Kollegin mir während
einer dreitägigen Abwesenheit wegen des Provinzprojektes den Verlauf,
Laborergebnisse oder eben zu entlassende Kinder geschickt hat. So dass ich ganz
technikaffin immer antworten, raten oder empfehlen konnte.Wer hätte gedacht, dass ich alter Computer Muffel eines Tages mein Fairphone® so aktiv anwenden würde. Ich bin selbst beeindruckt was diese jungen Menschen einem täglich Neues beibringen in dieser Medienwelt.
Bezogen auf die harten Tage, kann ich nur stets
wiederholen, es tut weiterhin weh wenn man mal wieder den Kampf verloren hat
gegen Schicksal, Strukturmängel etc. So starb erst letzte Woche ein kleiner 10
Monate alter Junge wegen einer schweren tuberkulösen Meningitis. Wir haben ihn
einmal erfolgreich reanimieren können, am Folgetag haben wir dann aufgeben. Es
war so schmerzlich die weinende schwangere Mutter zu betrachten und zu
ertragen, dass die weinende Oma sich zwanzigmal für unsere Hilfe bedankt hat. Und
heute am Ostersamstag kam ein 3 Jähriges Mädchen nach Verkehrsunfall auf die
Intensivstation, sie war bereits an ihrer instabilen Beckenfraktur operiert
worden, der Schaden der inneren Organe ist aber so erheblich, dass wir gerade
der Sepsis hinterherlaufen. Denn wer sich von daheim denkt, man wird hier
gleich am selben Tag notfallmäßig auf den Operationstisch gelegt, der denkt
falsch. Aber mehr als Kämpfen und manchmal eben nur beten, bleibt nicht zu tun.
Überhaupt wundert man sich unter den allgemeinen hygienischen Bedingungen
besonders in Gesundheitszentren oder Krankenhäusern, dass doch so viele Kinder überleben.
Das mag ein wenig zynisch klingen. Aber als ich durch die
GIZ gebeten wurde in einer Provinz die Ergebnisse des Mutter-Kind-Gesundheitsprojekts
in Hinblick auf Neugeborene anzuschauen, war ich doch reichlich ernüchtert.
Drum auch die o.g. Bemerkung. Beim nächsten Bericht werde ich ein wenig über
die Provinzsituation berichten.
Beispiel Fernbehandlung, finde den Fehler.
Das Kind ist eine 28.SSW...
|
2. Beispiel Fernbehandlung -
versuch' das mal in einem
rüttelnden Bus zu lesen
UND ZU VERSTEHEN!!!!
|
Kind mit V.a. Gallengangsatresie
SMS dazu: was meinst Du?
die Mutter hat mir das Bild
aus der Privatklinik geschickt
Sie hat schon ein Kind verloren nach
einer OP dafür, das andere Kind
ist in Singapur transplantiert worden
-> Klar, so eine Frage lässt sich
prima per SMS beantworten....
|
"heute haben wir 5 ml
Liquor punktiert, wie
besprochen, sah so aus"
|
"die Transfusion hängt jetzt"
|
"meinst Du diesen Babyhaler?" |
Fortbildung
Die positive Nachricht ist, dass wir endlich anfangen
Standards für die Station zu erarbeiten. Hierfür musste ich feststellen, dass
zwar eine Menge theoretischen Wissens vorhanden ist, aber leider die Praxis
fehlt. Das erkläre ich mir folgendermaßen: die Kollegen lernen aufmerksam und
fleißig, meist mit Material aus „reichen“ Ländern, also solche die sämtliche
moderne Technik haben und anwenden können. Also kennen sie auch in Theorie was
am Ende rauskommen muss. Aber klassische Feinheiten oder praktische Fallstricke
sind eben nicht klar. So kann ich ja vermutlich auch kein Auto fahren, nur weil
ich meine theoretische Prüfung bestanden habe und vielleicht sogar ein Auto
zusammenschrauben könnte. Manche Schlussfolgerungen sind einfach nicht logisch
und es gibt kaum jemand der praktisch „vorleben“ kann. Diejenigen die
Auslandserfahrung haben, waren meist in Frankreich, haben Hightech Medizin der
90er Jahre kennen gelernt, die sie aber nur begrenzt hier anwenden können. Die
jüngere Generation muss damit kämpfen, dass sie an der Universität immer noch
in Französisch unterrichtet werden, die meisten Publikationen jedoch in
englischer Sprache sind.
Wie auch immer, wir arbeiten gerade an dem ersten
Schritt: „Was muss passieren, wenn ein Kind auf Station aufgenommen wird.“
Dinge wie Temperaturmanagement oder Überwachungsstandards, auch Sauerstoffgrenzen
sind ein Thema (nein, wir haben keinen Augenarzt, der mir sagen kann ob das
Kind dank unserer Behandlung blind geworden ist).
Dann kann ich positiv berichten, dass die Kinderchirurgen
ein richtig flinkes Völkchen sind, denn sie wittern Ihre Chance auf eine
Zusammenarbeit und haben mich gleich mal für eigene Vorträge eingespannt. Ist
mir recht, denn schließlich arbeiten wir nach meinem Verständnis eng zusammen.
Die Jungs haben sich clever aufgestellt mit einem Team aus Kollegen, die
jeweils ein Thema besonders gut bedienen können. Z.B. Kopf oder Spina,
Orthopädie, Bauch, Urologie etc. Da die Kinderärzte eher zur trägen Variante
gehören, sind die Chirurgen nun auch noch Teil des staatlich verordneten
Programms zur Früherkennung von Teilleistungsstörungen und Behinderung geworden.
HÄÄÄÄH, was soll das denn? Nein ehrlich, ich schwör! Wie das kommt? Kann ich
sagen!
Der Kinderarzt kann hier mit Cerebral Parese z.B. nichts
anfangen. Hilfsmittelbedarf sind allenfalls klapprige Rollstühle oder axillär
stützende Krücken. Also schicken sie diese Patienten zu den Chirurgen, damit
die dann schauen können ob man was operieren kann. Zurück haben wollen sie die
Patienten aber auch nicht… unfassbar. Nun ja, die Kollegen der Chirurgie machen
aus der Not eine Tugend und versuchen eine Art Sprechstunde. Nur dass sie jetzt
den Neurologen in mir entdeckt und beschlossen haben, ich könnte doch prima
helfen. Das lasse ich mal unkommentiert…
Aber zusammenfassend kann man dennoch sagen, wir fangen
an uns zu bewegen und das ist gut so!
die Eltern mit dem Säugling und
V.a. Gallengangsatresie
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Lumbalpunktion |
Noch Fragen? |
Tapfer hat diese Oma um die Kleine
mit uns gekämpft, zur Belohnung
gehen sie heute heim - hier
bei einem kleinen gemeinsamen
Nickerchen :-)
|
ist sie nicht süß? |
"Sprächen die Menschen nur von Dingen, von denen sie etwas verstehen, die Stille wäre unerträglich."
Unbekannt
Aus diesem Grund sollte ich schleunigst diese Seite schließen ;-)
Aus diesem Grund sollte ich schleunigst diese Seite schließen ;-)
Mensch Maya,
AntwortenLöschenich bewundere Dich für das, was Du tust und finde es klasse, wie Du trotz aller Widrigkeiten das tust, was am wichtigsten ist: Helfen!
I'm enjoying reading your Blog Maya (great name by the way!) and am constantly fascinated, inspired and humbled by the great work you are doing. Keep writing!
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